Die Verbandsgründung!

Es begann an einem sommerlichen Nachmittag in einem Café im schönen Heidelberg. Ich, Michael Rasche, traf dort zum ersten Mal einen gewissen Michael Hebenstreit, einen Philosophen aus dem nicht allzu weit entfernten Erbach im Odenwald. Wie ich war er als Philosoph in der Beratungsbranche tätig. Wir trafen uns, um einen interessanten Kollegen und seine Arbeit ein bisschen kennenzulernen.

Bisher waren unsere Kontakte online. Wir sind erstmals in der Xing-Gruppe „Philosophie und Unternehmensberatung“ aufeinandergetroffen. Ich hatte die Gruppe wenige Monate vorher gegründet.

Ich war als bis dahin an der Universität tätiger Philosoph dabei, im Feld der Unternehmensberatung Fuß zu fassen. Dabei hielt ich natürlich Ausschau nach anderen Philosophen, die bereits in diesem Feld aktiv waren. Wie arbeiten sie? Was sind ihre Schwerpunkte? Was funktioniert gut, was nicht? Was würde ich ähnlich machen, wo würde ich mich abgrenzen?

Eine wichtige Quelle, um in Kontakt mit interessanten Gesprächspartnern zu kommen, ist natürlich das soziale Netzwerk „Xing“. Zum einen kann man dort gezielt nach einzelnen Personen suchen, zum anderen gibt es dort Gruppen, in denen sich Leute mit ähnlichen Interessen vernetzen und miteinander austauschen. Zu meinem großen Erstaunen stellte ich fest, dass es bei Xing und auch sonst wo kein Forum gab, in dem sich Philosophen austauschen oder vernetzen können, die in der Unternehmensberatung arbeiten.

Also beschloss ich, eine entsprechende Gruppe zu gründen. Mehrere Nachmittage durchsuchte ich die Xing-Community nach passenden Leuten, die entweder Philosophie studiert haben oder zumindest Interesse an Philosophie haben. Dabei fiel mir zweierlei auf: zum einen, in welch verschiedenen Arbeitsfeldern Philosophen tätig sind. Das ist einerseits gut, weil es die unglaubliche Spannbreite dieses Fachs deutlich macht, andererseits zeigt es aber, wie schwierig es ist, das Profil dieses Fachs für die Wirtschaft zu bestimmen. Das andere, das mir teilweise mit großem Schrecken auffiel, war die Tatsache, dass viele unter dem Namen „Philosoph“ oder „Philosophie“ auftraten, aber nicht im Entferntesten etwas mit dem zu tun hatten, was ich von der Universität gewöhnt war. Zumindest war und ist für mich der Glaube an die magische Macht der Engel nicht vereinbar mit dem, was ich unter „Philosophie“ verstehe.

Diese Nachforschungen im weiten Feld der „Philosophen“ waren für mich eine sehr deutliche Bestätigung, diese Gruppe zu gründen, um den gegenseitigen Austausch zu fördern und im Miteinander klarer herauszustellen, was wir als Philosophen eigentlich anbieten wollen, was wir eigentlich unter „Philosophie“ verstehen, was diese für die Unternehmensberatung zu bieten hat, wie wir arbeiten, wo wir uns weiter- und fortbilden können und wo wir als Philosophen unser Profil und unseren Markenkern haben.

Ich gründete diese Xing-Gruppe und lernte durch sie viele interessante Leute kennen. Einige von ihnen traf ich bei verschiedenen Anlässen in den folgenden Monaten.

Und so saß ich nun in einem Café in Heidelberg zusammen mit Michael Hebenstreit, der mir durch die Kombination „Philosophie“ und „Spieleverlag“ aufgefallen war.
Wir unterhielten uns über die Philosophie und die oft schwierigen Versuche, dieses akademische Fach in der Welt der Unternehmensberatung zu etablieren.

Beim zweiten Cappuccino hatte Michael Hebenstreit schließlich eine Idee: „Warum gründen wir keinen Verband?“ Ich maß dem erst einmal keine große Bedeutung bei und nickte versonnen. Das Gespräch lief dann weiter, ohne dieses Thema weiter zu berühren.

Auf der Rückfahrt musste ich nochmal an diese Idee zurückdenken: warum eigentlich nicht? Am nächsten Tag rief ich Michael Hebenstreit an: „Warum gründen wir keinen Verband?“

In den folgenden Monaten telefonierten wir immer wieder und wälzten diese Idee hin und her. Bis wir schließlich so weit waren: wir gründen einen Verband!

Warum ein Verband?

Zum einen ging es uns um Vernetzung: nicht allzu viele Philosophen sind im weiten Feld der Unternehmensberatung unterwegs. Bisher gibt es wenige bis keine Möglichkeiten des gegenseitigen Austauschs. Diese Möglichkeit brauchen wir und die kann ein Verband bieten.
Zum anderen geht es aber auch um das Thema „Philosophie und Unternehmensberatung“: diese beiden Felder sind nicht gerade selbstverständliche Partner. Weder ist es in der Unternehmensberatung normal, dass philosophisches Fachwissen eingesetzt wird, noch ist in der akademischen Philosophie normal, sich um die normale Welt außerhalb von Büchern und Theorien zu kümmern. Auch hier soll ein Verband helfen.

Wir suchten ein paar motivierte Mitstreiter und wollten im Frühjahr 2020 in Frankfurt den neuen Verband gründen. Wollten. Es kam Corona. Immer wieder. Im Frühjahr, im Sommer, im Herbst. Die Gründung wurde immer mehr zur Fata Morgana: wenn man ihr näher rückte, verschwand sie.

Dann war es soweit: der 17. Oktober. Online. Eine Gründungsversammlung als Online-Veranstaltung. Dies geht zwar durchaus auf Kosten der Geselligkeit, ist aber rechtlich möglich. Was nicht in der Sitzung geht, muss nachgeholt werden. Die Satzung muss natürlich von allen Gründungsmitgliedern unterschrieben werden. Was im Fall einer Online-Veranstaltung eben die Konsequenz hat, dass sich die Satzung auf eine wochenlange Reise begeben musste: von Hamburg im Norden bis München im Süden, von Rotterdam im Westen bis Dresden im Osten.

Die Sitzung selbst verlief ansonsten so wie viele andere Sitzungen: inhaltliche Diskussionen („Was wollen wir eigentlich?“), Planungen („Wann machen wir was?“) und personelle Entscheidungen („Wer macht was?“). Am Ende der Sitzung steht die Gründung des neuen Verbands. Die Satzung geht auf Reisen, der Verband geht an den Start.

Wo wird die Reise des Verbands hingehen? Vermutlich werden wir nicht in ein paar Jahren in einen Büroturm in der Frankfurter Innenstadt umziehen. Und für die Mitgliederversammlung werden wir auf absehbare Zeit auch kein Fußballstadion brauchen.

Aber zu klein darf man auch nicht denken. Wir haben ein großes, wichtiges Thema, das wir nach außen tragen wollen und von dem wir spüren, dass es großes Interesse gibt. Es geht um die Philosophie. Sie ist nicht nur irgendwie eine akademische Disziplin, sondern in einem gewissen Sinne DIE akademische Disziplin schlechthin, weil es ihr um die grundlegenden Fragen geht, was Wissen eigentlich ist, wie Wissen funktioniert und begründet werden kann, wie ein Leben oder eine Gesellschaft mit diesem Wissen aufgebaut werden kann. Wie wir als Europäer ticken und denken: es ist geprägt durch diese 2.500 Jahre alte Disziplin. Viele Menschen, innerhalb und außerhalb der Unternehmen, fragen nach dieser alten Disziplin, um neue Orientierung zu bekommen in Zeiten, in denen Orientierung immer schwerer fällt.

Wir haben diesen Verband gegründet, um deutlich zu machen, dass die Philosophie diese wichtige Orientierung geben kann und den Philosophinnen und Philosophen zu helfen, die diese Orientierung weitergeben wollen. Orientierung ist nicht DIE Lösung. Aber sie gibt die Möglichkeit, Lösungen zu finden.

Die „normalen“ Gründungsmythen von Vereinen und Verbänden sind normalerweise spektakulärer. Oft steht eine Wette leicht oder schwer Alkoholisierter am Anfang einer solchen Gründung. Bei uns war es nur Cappuccino in Heidelberg und die Reise einer Satzung durch ganz Deutschland. Auf dass nicht nur die Satzung durch das ganze Land reist, sondern auch unser Anliegen als neuer Verband!